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Hochwasser, Niederbayern, Simbach, Jahrtausendflut — © Wassermassen wälzen sich durch den Ort Simbach. Foto: Walter GeiringWassermassen wälzen sich durch den Ort Simbach. Foto: Walter Geiring

Vor einem Jahr: Die Jahrtausendflut in Simbach

Am ersten Jahrestag finden am Donnerstag (1. Juni) in der Stadtpfarrkirche St. Marien eine Andacht und anschließend ein Konzert im Bürgerhaus statt, wie eine Sprecherin der Stadtverwaltung sagte. Im Heimatmuseum ist zudem eine Sonderausstellung zu der tödlichen Katastrophe zu sehen (bis zum 31. Juli).

Nach tagelangem Regen und einem Dammbruch war die niederbayerische Stadt vor einem Jahr von einer bis zu fünf Meter tiefen Hochwasserwelle überschwemmt worden. In Simbach kamen fünf Menschen ums Leben, zwei weitere starben in umliegenden Gemeinden. Zahlreiche Häuser wurden zerstört.

Simbach ein Jahr danach

Glasklar und friedlich plätschert der Simbach durch sein steinernes Bachbett. Das Wasser glitzert im Sonnenlicht. Blauer Himmel, Vogelgezwitscher. Frühlingserwachen in
der niederbayerischen Stadt am Inn, die so heißt wie das Bächlein, das vor einem Jahr zur tödlichen Flut anschwoll. Mit dem Frühling zieht in Simbach Aufbruchsstimmung ein. Fünf Menschen waren dort beim «Jahrtausendhochwasser» gestorben, zahlreiche Häuser unbewohnbar geworden. Nach dem ersten Schock und dem großen Schlammschippen ist nun der Wiederaufbau in vollem Gange. 

«Ich denke, wir haben noch einige Jahre zu tun, um wieder Normalzustand in Simbach zu haben», sagt Bürgermeister Klaus Schmid (CSU). Der tiefer gelegene Teil Simbachs gleicht einer Geisterstadt. Bis zu fünf Meter hoch staute sich hier am 1. Juni 2016 das Wasser, nachdem oberhalb der Stadt nach tagelangem Regen der Damm gerissen und die Flut die Straßen hinabgeschossen war.

Nun stehen die Häuser leer. Am Mauerwerk lässt sich ablesen, wie tief sie im Schlamm standen. Die Fenster sind mit Holzplatten vernagelt. Neben den Haustüren sind noch immer blaue Kreuze zu sehen. Mit ihnen hatten die Retter die Gebäude markiert, nachdem sie sie nach Opfern und Überlebenden durchsucht hatten.

Dass Simbach keine Geisterstadt bleiben soll, ist deutlich spürbar. Stadtverwaltung und Bürger setzen alles daran, ihre Stadt wieder aufzubauen. Etliche Häuser sind eingerüstet, auf Bauzäunen prangen Werbetafeln von Handwerksbetrieben. Es wird gebaut, abgerissen, saniert. «Die Situation ist nicht so, wie viele denken, dass wir bereits fertig sind mit allen Arbeiten», sagt Schmid. «Im Gegenteil.» Aber die ersten Anwohner seien in ihre alten Häuser zurückgekehrt, andere in neue umgezogen. «Der Schritt zur Normalität ist da.»

Vom Rathaus zum Bach sind es nur wenige Schritte. Der Bürgermeister geht die Straße hinab, vorbei an leerstehenden Häusern. Am Bachbett stehend erläutert er die Folgen der Flut und die Pläne für den künftigen Hochwasserschutz. Etwa ein Dutzend der zerstörten Häuser entlang des Simbachs kaufte das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf den Besitzern ab. Die Gebäude werden abgerissen. Das Bachbett soll verbreitert werden, um dem Wasser im Fall des Falles mehr Platz zu geben. Der gebrochene Deich wird erneuert, ebenso Straßen, Kanäle und Brücken. Die Flut hat enorme Schäden hinterlassen.

Die Besitzer seien froh gewesen, überhaupt einen Käufer für die im Flutgebiet gelegenen, zerstörten Häuser gefunden zu haben, sagt Michael Kühberger, Abteilungsleiter beim Wasserwirtschaftsamt. Auch er spricht von einem Langzeitprojekt. «Das ist alles sehr komplex im Stadtgebiet.» Planungen, Genehmigungsverfahren und Ausschreibungen brauchten Zeit. Die neuen Hochwasserflächen sollen zudem nicht nur
funktional, sondern auch attraktiv sein, sagt der Bürgermeister. Grünflächen und ein Radweg seien denkbar.

Der Rathauschef ist voller Tatendrang und Zuversicht. Seine große Hoffnung? «Dass wir es irgendwann schaffen, den Gedanken «1. Juni Flutkatastrophe» in den Hintergrund zu schieben in den Herzen und in den Köpfen, damit man wieder ein normales Leben ohne Angst aufbauen kann.» Buchstäblich wie ein Stadtvater versucht er seine Bürger zu ermutigen. Viele habe er besucht, mit ihnen gesprochen und sie direkt aufgefordert, ihre Läden wieder zu öffnen, berichtet er. Bloß nicht aufgeben.

Einer von ihnen ist Vasile Stratulat. Seine Sattlerei war in den Fluten völlig untergegangen. Alles kaputt. Maschinen, Werkzeug, Leder, Sättel, Möbel. Rund 60.000 Euro Schaden. In nur 30 Minuten sei das Erdgeschoss des Hauses komplett mit Wasser vollgelaufen, erinnert sich Stratulat. 2,65 Meter hoch. Als die Schlammwelle kam, hatte er seinen Laden gerade für die Mittagspause geschlossen und war in die darüber liegende Wohnung gegangen. «Alles war wie immer.»

Plötzlich habe er keine Autos mehr fahren gehört, stattdessen komische Geräusche. Als er aus dem Fenster blickte, stand die Straße meterhoch unter Wasser, Autos und Baumstämme schwammen vorbei. Stratulat ist sichtlich bewegt. Er geht in den Hinterhof und zeigt auf das schwer beschädigte Nachbargebäude. Es müsse abgerissen werden. Durch die offene Türe sieht man Schutthaufen und an der Decke große Risse. «Stopp! Einsturzgefahr» steht an der Wand.

Eigentlich habe er seinen Laden nicht wieder eröffnen wollen, sagt Stratulat. Zu tief saß der Schock. Doch der Bürgermeister habe ihm Mut gemacht. Der Sattler nahm einen Kredit auf und startete neu durch. Das Treppenhaus ist noch Baustelle, aber der Laden ist seit Jahresbeginn wieder am Leben. «Wir gehen weiter», sagt er. «Aber man denkt immer dran. Vor allem wenn es viel regnet, dann schauen wir gleich aus dem Fenster.»

Nicht weit entfernt von der Sattlerei steht eine weitere Wiedereröffnung bevor. Eine Metzgerei nimmt den Jahrestag der Flut zum Anlass für einen Neubeginn: «Es war ein schwieriges Jahr. Und wir sind froh, dass es vorbei ist», sagt Inhaberin Helga Feyrer. Sie hat alle Hände voll zu tun. Handwerker sind mit letzten Einrichtungsarbeiten beschäftigt. Am 1. Juni soll es losgehen.

Andere Geschäftsleute winken ab, wollen über die Flut nicht mehr sprechen. «Es ist ganz unterschiedlich. Jeder verarbeitet es auf seine eigene Art und auf sein eigenes Herz hin», sagt der Bürgermeister. Bei den einen gebe es noch Bedarf, sich die Seele freizureden. Andere wollten nichts mehr davon hören und sehen.

Da ist es hilfreich, dass endlich auch die letzten Schlammberge beseitigt worden sind. 5,3 Millionen Kubikmeter Wasser und Dreck seien durch Simbach geschossen, bilanziert Schmid. Kurz vor dem Jahrestag ist der Schlamm nun raus aus der Stadt. Und eines Tages
werden wohl auch die blauen Kreuze von den Hauswänden verschwunden sein, die wie Mahnmale an die Katastrophe vom 1. Juni 2016 erinnern.

Ursachenforschung

Die Ursachenforschung ist schwierig. Experten der Universität für Bodenkultur Wien haben das Ereignis rekonstruiert. Dabei simulierten sie auch, wie das Hochwasser abgelaufen wäre, wenn der Damm oberhalb der Stadt nicht gerissen wäre. Für ihre Erhebungen haben sie nach ihren Angaben 115 Anschlagmarken und Querprofile aufgenommen, 24 Augenzeugen befragt und 850 Fotos sowie 62 Videos gesammelt.

Ergebnis: Die Überflutungsfläche wäre mit und ohne Dammversagen etwa gleich groß gewesen, sagt Johannes Hübl, Professor für Naturgefahren und Risikomanagement. Im Ortsbereich sei das Wasser durch das Dammversagen im Schnitt um einen halben Meter gestiegen. Letztlich habe ein Zusammenspiel ungünstiger Faktoren zur Katastrophe geführt.

Die minutiöse Rekonstruktion zeigt, wie sich am Vormittag des 1. Juni die Situation dramatisch zuspitzte. Am 31. Mai und 1. Juni 2016 regnete es insgesamt 37 Stunden. Die längste Dauer ununterbrochenen Niederschlags mit etwa sieben Stunden gab es am 31. Mai zwischen 7.20 Uhr und 14.25 Uhr. Die Regenzellen zogen zudem in Fließrichtung des Wassers und verschärften so die Lage.

Am 1. Juni ab 11.11 Uhr wurde den Angaben nach das Gelände eines Sägewerkes geflutet und ab 12.30 das dort gelagerte Holz in Richtung Innenstadt geschwemmt. Um 12.37 Uhr begann der Damm zu brechen. Die aus dem Dammbruch resultierenden Wassermassen erreichten um 12.55 Uhr den tiefer gelegenen Ortsteil.

Ungünstige Faktoren wie intensivster flächenhafter Niederschlag, die Zugrichtung der Schauerzelle in Fließrichtung, die Entstehung eines Netzes sogenannter Kleingerinne auf landwirtschaftlichen Flächen hätten zu einem äußerst hohen Abfluss geführt, der schließlich «zu einem Überlastfall für technische Bauwerke» wurde.

dpa-infocom; Ute Wessels

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