Berthold Over, der bis Oktober 2016 an der Uni Mainz tätig war, geht davon aus, dass es sich bei dem Manuskript um die bislang als verschollen geltende Klavierfassung von Gustav Mahlers erstem Kindertotenlied „Nun will die Sonn‘ so hell aufgeh’n“ handelt. Das schreibt er in einem Aufsatz für das „Archiv Musikwissenschaft“ im Franz Steiner Verlag.
Ein privater Sammler hatte das Schriftstück im vergangenen Jahr in einem Notenstapel entdeckt – und beinahe weggeworfen. Nach Angaben Overs stammt das Notenblatt ursprünglich aus dem Besitz der Wiener Familie Conrat, in deren Musiksalon Mahler und seine Frau Alma zu Gast waren. Über die Tochter der Familie sei das Manuskript nach München gelangt, wo es als Schenkung in die Privatsammlung kam und dort lange unentdeckt blieb.
Over nennt das Manuskript einen „veritablen Fund“, weil es Hinweise auf die Reihenfolge gebe, in denen die fünf Kindertotenlieder entstanden sind, die zu Mahlers bekanntesten Werken gehören. Der Fund untermauere die Annahme, dass Mahler die Lieder 1, 3 und 4 im Jahr 1901 und die Lieder 2 und 5 im Jahr 1904 komponierte, schreibt der Wissenschaftler in seinem Aufsatz. Denn das neu aufgetauchte Notenblatt für Lied 1 sei auf dem gleichen, für Mahler eigentlich unüblichen Papier geschrieben wie die Manuskripte für die Lieder 3 und 4. Dies lasse „annehmen, dass sie in zeitlicher Nähe und in einem begrenzten zeitlichen Rahmen entstanden“.