Von Sabine Dobel und Angelika Warmuth, dpa
Das kündigte Landeshauptmann Günther Platter am Wochenende an, nachdem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht hatte. Die Polizei stoppte am Wochenende an den Ausfahrten rund um Innsbruck mehr als tausend Autofahrer, die von der Autobahn abfahren wollten – und ließen nur Anwohner oder Touristen mit Zielen in der Umgebung durch.
Damit will Tirol verhindern, dass Autofahrer sich die Maut sparen oder Staus umfahren. Regelmäßig wälzt sich in der Urlaubszeit eine Blechlawine durch die verkehrsgeplagten Tiroler Dörfer. Bis Mitte September sollen die Fahrverbote nun an jedem Wochenende gelten.
«Wir schützen damit unsere Bevölkerung und Gäste vor Ort, während Durchreisende ihren Weg auf der dafür vorgesehenen Route fortsetzen können», sagte Platter. In- und Ausländer müssten sich gleichermaßen an die Verbote halten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder beschwerte sich im «Münchner Merkur», die Verbote verstießen gegen die Reisefreiheit in der EU, und drohte mit einer Klage gegen die Nachbarn. «Das Verhalten von Tirol ist diskriminierend und europarechtswidrig», sagte der CSU-Politiker. Platter blieb ungerührt und kündigte eine Ausweitung auf die Bezirke Kufstein und Reutte an. Es sei eine Notmaßnahme. «Wenn Dörfer vom Ausweichverkehr derart verstopft sind, dass nicht einmal mehr für Einsatzkräfte ein Durchkommen ist, dann ist Handeln gefragt.» Und: «Es fällt mir auf, dass die Tiroler Maßnahmen in Bayern immer wieder als Majestätsbeleidigung aufgefasst werden.»
Vom Ausweichverkehr aus beiden Richtungen geschunden sind aber auch bayerische Gemeinden an der Grenze – darunter Kiefersfelden im Inntal. Bürgermeister Hajo Gruber äußerte Sympathie für Platters Vorgehen. «Er setzt die Verkehrsbelastung im Inntal wieder mal auf die politische Agenda.» Wenn Platter die Fahrverbote auf den Kufsteiner Raum ausweite und damit der Verkehr aus dem Süden auf der Autobahn bleibe, könne das auch Kiefersfelden entlasten. «Das wäre positiv», sagt Gruber. «Ich persönlich bin guter Hoffnung.»
Bei der Tiroler Bevölkerung kommt die Einschränkung des Schleichweg-Verkehrs gut an: Es sei «extrem ruhig. Fast schon zu ruhig», sagte Eva-Maria Wenter, Mitarbeiterin in einer Tankstelle an der Autobahnausfahrt Zirl-Ost bei Innsbruck, wo sonst der Ausweichverkehr Richtung Natters fährt. «Für unser Geschäft ist es eher weniger gut. Aber für unsere Ortschaften ist es besser.»
Zuletzt hatte sich die Lage durch Navis verschärft, die Autofahrer über Schleichwege leiten, die früher nur Einheimische kannten. Im Frühjahr sei es extrem gewesen, sagt Alexandra Virabisi, die an der Dorfstraße in dem Ort Kematen wohnt. «Es war tagelang nicht möglich, mit einem Kind die Straße zu überqueren.» Sie ist froh über die Maßnahme. «Als Mutter von einem Sieben- und einem Vierjährigen finde ich schon, dass jeder, der von Norden nach Süden will, auch in Kauf nehmen muss, im Stau zu stehen – und dass die Anwohner sagen: Jetzt ist die Belastungsgrenze erreicht.» Wer staufrei in den Urlaub wolle, könne auf Bahn oder Flugzeug umsteigen.
Auch Mitarbeiter der Bio-Gärtnerei Blumenpark Seidemann bei Kematen spürten am Samstag die Entlastung: «Alles ruhig, freie Fahrt». Die Wagen hätten zuvor teils Stunden vor der Gärtnerei gestanden. «Wir sind als Mitarbeiter kaum rausgekommen aus dem Parkplatz.» Für den Heimweg habe mancher die dreifache Zeit gebraucht.
An der Ausfahrt Nösslach an der Brennerautobahn wurden am Samstag allein binnen vier Stunden an die 350 Autofahrer zurückgeschickt, wie der stellvertretende Leiter der Landesverkehrsabteilung Tirol, Günther Salzmann, berichtete. «Sie sind in Richtung Deutschland unterwegs gewesen und wollten der Maut entkommen – oder dem starken Verkehrsaufkommen.» Bisher hätten die meisten Autofahrer einsichtig reagiert. Nur einmal gab es Ärger: Ein Autofahrer fuhr einfach an der Kontrolle vorbei. Die Polizei stoppte ihn – Geldbuße.
Sah sich der eine oder andere Motorradfahrer um schöne Kurvenstrecken gebracht, so blieben andere gelassen. «Wir fahren in den Urlaub», sagte eine Touristin auf dem Weg nach Italien, als Beamte sie und ihren Begleiter zurückschickten. «Wir haben keinen Stress.»
Verkehrspolitisch sind Bayern und Österreich in vielen Fragen überkreuz: Im Maut-Streit, den Österreich nun für sich entschieden hat, in der Debatte um den Bau einer neuen Bahntrasse im bayerischen Inntal als Zulauf zum Brenner Basistunnel und in der Frage, wie der Lastwagenverkehr über den Brenner eingedämmt werden könnte.
Auch Stau bleibt Dauerthema zwischen den Nachbarn: Die auf Wunsch der CSU eingeführten Grenzkontrollen verursachten auf den Autobahnen bei Salzburg und Kufstein erneut kilometerlange Schlangen. Die Tiroler Blockabfertigung von Lastwagen wiederum belastet den Verkehr auf bayerischer Seite.