Mehr als drei Jahrzehnte hat der Münchner Opferanwalt Werner Dietrich für neue Ermittlungen zu dem Anschlag auf das Oktoberfest gekämpft. Eine Bombe tötete 1980 zwölf Wiesngäste und verletzte 211. Auch der rechtsextreme Bombenleger Gundolf Köhler starb. Der rechtsradikale Hintergrund blieb ungeklärt. Im Raum stehen auch Vermutungen über eine Verstrickung von V-Männern oder Diensten.
Vor einem Jahr hatte Dietrich mit seinem dritten Wiederaufnahmeantrag Erfolg: Die Bundesanwaltschaft, die 1982 das Verfahren gegen Unbekannt mangels Hinweisen einstellte, ermittelt neu.
Herr Dietrich, wie laufen aus Ihrer Sicht die Ermittlungen ?
Ich konnte bisher weniger als ein Prozent des jetzt vorliegenden umfangreichen Beweismaterials einsehen und kann nur diesen Ausschnitt bewerten. Allein durch die Vernehmungen meiner Mandanten, bei denen ich dabei war, ist aus meiner Sicht aber nachgewiesen oder zumindest sehr wahrscheinlich, dass mehrere Mittäter mit Köhler am Tatort waren, die mit ihm in Kontakt standen, mit ihm gesprochen und gestritten haben. Und dass es eine zweite
möglicherweise fehlgezündete Bombe gab, einen zweiten Explosionsherd. Die Bundesanwaltschaft hat bisher keinen namentlich bekannten Mittäter, den sie verhaften könnte. Das heißt aber nicht, dass es keine Hintermänner gibt.
Das Bayerische Landeskriminalamt hat 1980 schon ermittelt, ihm werden Pannen vorgeworfen. Was bedeutet es für die neuen Ermittlungen, dass der GBA wieder das LKA betraut hat?
Es wäre besser gewesen, wenn eine andere Behörde übernommen hätte. Bei jedem Urteil, das der Bundesgerichtshof aufhebt, verweist dieser an ein anderes Gericht oder eine andere Kammer zurück, um auch nur den Anschein einer Voreingenommenheit zu vermeiden. Hier soll nun dieselbe Behörde die Ermittlungsarbeit ihrer Kollegen überprüfen.
Waren denn nun V-Männer im Zusammenhang mit dem Attentat aktiv?
Es gibt Hinweise, dass vier bis sieben V-Leute im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat eingesetzt waren oder damit zu tun hatten. Und es gibt den Verdacht, dass V-Männer zu den Hintermännern gehört, Täterwissen gehabt und Köhler und mögliche Mittäter unterstützt haben könnten. Aber das ist nicht bewiesen. Es ist jetzt vor allem interessant, ob die entsprechenden Unterlagen herausgegeben werden.
Wie steht es damit ?
Die Bundesregierung hat die Auskunft verweigert unter Berufung auf Geheimhaltungsgründe. Nun gibt es eine Organklage von Grünen und Linken. Die Regierung ist vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert worden, dazu Stellung zu nehmen. Das Ergebnis halte ich für richtungsweisend, wie weit die Regierung bereit ist, auch diesen
Graubereich auszuleuchten. Das wird einer der Knackpunkte der weiteren Arbeit sein. Erst wenn wir diese Akten haben, sehen wir auch, ob die Sicherheitsdienste mit offenem Visier arbeiten und wirklich alles herausgeben, was sie haben.
Wie lange werden die Ermittlungen nach Ihrer Einschätzung dauern – und wie sehen Sie die Chancen, dass nach 35 Jahren Mittäter oder Helfer gefunden und vor Gericht gestellt werden können?
Ich denke, die Ermittlungen werden noch das ganze Jahr 2016 dauern. Natürlich ist es nach 35 Jahren schwieriger, ein Verbrechen aufzuklären als direkt nach der Tat. Aber ich bin auch optimistisch, weil sich immer neue Zeugen von damals mit erstaunlich präzisem Gedächtnis melden, deren Aussagen verwertbar sind und die auf ein terroristisches Umfeld hindeuten. Es gibt auch immer wieder Ermutigung aus Kreisen der damaligen Ermittlungsbehörden: «Macht weiter. Es durfte damals keinen organisierten Rechtsradikalismus geben. Das wurde geleugnet und heruntergespielt.»
Strafrechtliche Ermittlungen betreffen Täter und Motive. Das Versagen der damaligen Behörden ist nicht Gegenstand und kommt somit wahrscheinlich nur als «Nebenprodukt» auf den Tisch. Muss ein Untersuchungsausschuss her?
Es ist jetzt zu früh, darüber zu sprechen, weil wir noch nicht wissen, wie die jetzigen Ermittler arbeiten und was
herauskommt. Danach kann man über einen Untersuchungsausschuss reden, der umfassend das Versagen und Vertuschen damaliger Behörden klärt.