Die Münchner habe er zahlenmäßig in seiner gut dreißig Jahren Amtszeit köpfen lassen, sagt Manfred Schauer. Er ist der amtierende "Schichtl" auf dem Oktoberfest. Seit Generationen wird in seinem Traditionstheater, benannt nach dem Begründer Michael August Schichtl, die "Enthauptung einer lebenden Person auf offener, hell erleuchteter Bühne mittels Guillotine" zelebriert.
Der Besitzer selbst ist aber wohl die Hauptattraktion in seinem Theater, welches der älteste Stand auf der Wiesn ist. Denn er nimmt kein Blatt vor den Mund, ist offen und gerade heraus, eben ein richtiger Ur-Münchner. Für seine Art lieben ihn die Leute. Heute feiert Manfred Schauer seinen 70. Geburtstag und wir möchten herzlich gratulieren. Der Schichtl selbst, hat sich zu seinem eigenen Geburtstag etwas ganz besonderes einfallen lassen...
Brief von M.A. Schichtl an Manfred Schauer zum Siebzigsten 15.3.2023 Servus Manfred Du Exemplar, lange schon mach ich mir Gedanken, über Dich und den Schichtl. Hier mein Resümee zum Start in Dein 70. Lebensjahr.
Mehr als Dein halbes Leben spendierst Du Kraft, Leidenschaft und viel Phantasie dem Theater, das ich 1869 auf die Wiesn gebracht hab. Heute ist es der älteste Schaustellerbetrieb dieser Art, den es dort und fast in ganz Europa noch gibt. Die seltsame Chronologie hat ergeben, dass Du in 154 Jahren erst der vierte Inhaber bist aber auch der Vierte, der keine Kinder mitbringt. Allerdings hatten Deine Vorgänger den Vorteil, das Theater nach langer Mitarbeit übernommen zu haben. Du warst zum Zeitpunkt des Kaufs vom Schichtl 1985 weder vor noch im Theater gewesen. Dich hat wohl gereizt, eine Legende der Wiesn am Leben zu erhalten. Vielleicht wolltest auch bloß damit protzen, den über 100 Jahre alten Begriff für´s anpacken „Auf geht´s beim Schichtl“, zu verkörpern. Das ist zwar grundsätzlich löblich, mutig bis anmaßend, aber ich hab mir damals schon gedacht, welch ein Exot aus der Großmarkthalle kommt denn da daher.
Dein Anfang war, milde gesagt, einer Katastrophe. Schlimmer, was ich im schlimmsten Fall befürchtet hab. Ich erinner mich; die ersten 4 Tage hast Du in erster Linie um Dein und einige Zeit später auch ums Überleben vom Schichtl gekämpft. Die Figur, die vom ersten Tag an dabei und Du mit zum Schichtl gebracht hast, ist Ringo, der Henker vom Schichtl. Der war auf den ersten Blick die bessere Besetzung wie Du als Rekommandeur. Allerdings hat er den genetischen Vorteil, der spielt seine Rolle nicht, er ist einfach so, ein Ur-Viech wie es perfekt zum Schichtl und seiner „Enthauptung auf offener, hell erleuchteter Bühne“ passt.
Erstaunlich schnell aber hast Du Deinen Platz auf der Bühne, der Wiesn und auch in München und weit darüber hinaus, gefunden. Ich hätte keinen Sargnagel darauf gewettet, aber Du hast es tatsächlich geschafft, den Begriff vom und um den Schichtl neuen Vortrieb zu verschaffen. Recht schnell haben die Medien Deine vollgas Paraden wahrgenommen, so titulierte 1993 die SZ „Der große Schaustehler vom Oktoberfest“. Nicht schlecht für einen ohne Vorahnung. A recht a Hund wars´t schon, wie Du 1995 als „der Schichtl“ die „1. Bayerische Biergartenrevolution“ maßgeblich organisiert und recht erfolgreich durchgezogen hast.
Als 2021 ein paar Traditions-Theoretiker eine Wiesn in Dubai veranstalten wollten, hast Du das Absurde umgedreht und auf der Wiesn mit mächtigem Aufwand nach Öl gebohrt. „Schichtl Opti-Oil“ ist auf einem riesigen Tanklastzug gestanden. Nicht schlecht mein Guter, mach weiter so, weil die Wenigsten traun sich heutzutage überhaupt noch was, dafür sind sehr viele sehr schnell mit Kritisieren und Besserwisserei dabei. Zu meiner Zeit haben wir uns noch persönlich gelobt, beleidigt oder bedroht. Da hast noch gewusst, wer was von Dir hält oder denkt. Jetzt schaut´s allerdings so aus, dass sich die Welt incl Bayern in den letzten 20 Jahren massiv verändert hat. Als fortschrittlich und nützlich gedacht hat sich das Internet weitgehend zu einem hinterfotzigen Medium für Bösartigkeiten von feigen Heckenschützen jeglicher Couleur entwickelt. Aus einem Volk der Dichter und Denker sind via Net Richter und Henker mutiert. Nicht nur, aber auffällig auch auf der Wiesn, die Menschen laufen wie ferngesteuert hinter ihren Handys her. Was da steht, erscheint vielen als unverzichtbare Lebenshilfe. Mann, bin ich froh, das nicht erlebt zu haben!
Du lebst in der Ära der Gezeichneten und Perforierten, wollgesichtige Männer mit Strickmütze, uniformierte Individualisten halt. Ich verurteile das nicht, der Mensch zählt, nicht wie er ausschaut. Wie er ist und was er tut, macht´s aus! Apropos tun: Wann glaubst Du, klebt sich jemand von der letzten Zukunft an den Schichtl oder die Guillotine? Und wäre es dann nicht unhöflich, die Geleimten entgegen ihrer Philosophie zu entfernen? Es ist halt so, dass die Veränderungen derart komplex und schnell sind, dass ich mich besorgt frage, wo bleibt hier dieses uraltes Vehikel von Oktoberfest-Tradition?
Nach wie vor absolviert Du und das von Dir so hochgeschätzte Schichtl-Kabinett um die 350 – 400 Vorstellungen pro Wiesn. Entgegen jeglicher wirtschlichen Vernunft besteht das Kabinett aus elf Talenten die durch immens viel Herzblut-Engagement dem Schichtl in modernen Zeiten das Besondere, das Glaubwürdige, verleihen. Aber immerhin, seit 2001 bist Du auch ein kleiner Wiesnwirt und bescherst damit dem Theater eine gewisse Stabilität.
Bitte bemüh Dich in Zukunft mehr darum, den Leuten klar zu machen, dass es außer der historischen Hinrichtung jährlich ein neues Programm gibt. Da musst Du unbedingt nachlegen! Zum Schluss möcht ich Dir ausdrücklich zu den vielen tollen Menschen gratulieren, die Du ins Schichtl-Kabinett geholt hast. Solche Herzblut-Akteure zu finden, lieber Manfred, das ist einer Deiner größten Leistungen für den Schichtl. Jetzt wünsch ich euch das Publikum das ihr verdient und ruf in die Welt hinaus, dass Millionen es hören:
Der Schichtl ist eine Sensation.
Mit besten Grüßen vom Waldfriedhof
Dein Michael August Schichtl