Von Sabine Dobel, dpa
Anfangs geht es um 15 Euro. Jugendliche bedrängen am Münchner S-Bahnhof Donnersbergerbrücke eine Gruppe jüngerer Schüler und verlangen von ihnen Geld. Der Vorfall endet ein paar S-Bahnstationen weiter am Bahnhof Solln mit einer tödlichen Schlägerei. Der Geschäftsmann Dominik Brunner will die 13- bis 15-Jährigen vor den mit 17 und 18 Jahren nur wenig älteren Angreifern schützen – er stirbt Stunden später im Krankenhaus.
Der Fall vom 12. September 2009 machte Zivilcourage zum gesellschaftlichen Thema. Zu seinem zehnten Todestag erinnern Politiker und Wegbegleiter an den Mann, der heuer 60 Jahre alt geworden wäre. An diesem Mittwoch werden zu einem Gedenken am Tatort unter anderem Innenminister Joachim Herrmann (CSU), Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn, Klaus-Dieter Josel und Uli Hoeneß als Kuratoriumsvorsitzender der Dominik-Brunner-Stiftung erwartet.
«Brunner hat nicht weggeschaut. Das ist das Beispiel, das wir würdigen wollen», sagt Andreas Voelmle, Vorstandsmitglied der Stiftung. Angehörige, Freunde und Weggefährten hatten die Stiftung zu Brunners Andenken gegründet. Sie besteht am 17. November zehn Jahre.
Seitdem klärt die Organisation an Schulen über gewaltfreie Konfliktlösungen auf, betreut in einer Münchner Einrichtung Kinder aus schwierigen Verhältnissen und unterstützt Menschen oder deren Angehörige, die wegen ihres selbstlosen Handelns unverschuldet in Not geraten sind. Die Stiftung will gegen Gewalt mobilisieren und Menschen zu Zivilcourage ermutigen.
Voelmle sieht seit dem Tod Brunners durchaus eine Entwicklung. Er habe vor allem den Eindruck, dass sich Menschen in Konfliktsituationen stärker zusammentun, um zu helfen, dass auch Unbekannte spontan gemeinsam Teams bilden. «Da hat sich im Bewusstsein etwas verändert.»
Brunner sei ein leuchtendes Vorbild für Mut und Courage, hieß es vor einigen Tagen bei der Verleihung der «Courage-Medaille» im Innenministerium. «Das tragische Schicksal von Dominik Brunner führt unweigerlich zu der Frage, wie man sich in derartigen Situationen verhalten soll, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen», sagte Minister Herrmann. Manchmal reiche es schon, laut zu sprechen, um einen Täter einzuschüchtern oder von der Tat abzuhalten. Andere Täter seien zu jeder Form von Gewalt bereit.
Brunner hatte in der S-Bahn die Provokationen der beiden späteren mutmaßlichen Täter gegenüber den Schülern mitbekommen. Sie gehen nicht auf die Schüler los, sprechen aber ungeniert darüber, dass sie von ihnen Geld wollen. Brunner ruft aus der S-Bahn die Polizei an.
In Solln steigt er mit den Schülern aus. Brunner stellt sich vor sie. Er ist derjenige, der zuerst zuschlägt. Das Gericht sieht das später als Notwehr in Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs. Die Jugendlichen schlagen daraufhin auf ihn ein, treten ihn, als er schon am Boden liegt. Brunner verliert das Bewusstsein.
Die Ärzte können ihn nicht retten. Brunner stirbt aber nicht an den Folgen der Schläge, wie die Obduktion ergibt, sondern an einem Herzstillstand infolge eines vergrößerten Herzmuskels.
Die beiden 17 und 18 Jahre alte Schläger, die sich unweit des Bahnhofs in einem nahe gelegenen Gebüsch versteckt haben, werden festgenommen. Der Haupttäter wird im Jahr darauf zu neun Jahren und zehn Monaten Jugendstrafe wegen Mordes verurteilt. Der zweite Täter bekam sieben Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge.
Es gab auch Kritik an Brunners Verhalten. Er habe überreagiert, hieß es gelegentlich. Voelmle will darüber nicht richten. «Ich mag mir da kein Urteil erlauben. Das sind Stresssituationen – da kann man im Nachhinein klug daherreden.»
Der Fall habe aufgerüttelt und gezeigt, «dass man sich dem Thema widmen muss». Heute erinnern Straßen und Plätze an Brunner, in Poing bei München gibt es eine Dominik-Brunner-Realschule. Am Tatort stehen ein Mahnmal und eine Tafel zum Geschehen. Vor Brunners ehemaliger Schule in seinem niederbayerischen Heimatort Ergoldsbach (Landkreis Landshut) steht eine Bronzestatue. Sie zeigt einen Mann, der sich vor ein Kind stellt. Das Entsetzen über die tödliche Eskalation von damals hat den Namen Dominik Brunner zum Synonym für Zivilcourage werden lassen.