15.06.2011

150 Jahre öffentlicher Nahverkehr in München

1861 Erster Linienverkehr mit Kutschen

Am 16. Juni 1861 – München zählt rund 150.000 Einwohner – schlägt die Geburtsstunde des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) unter privater Regie. Mit eisenbereiften Großraumkutschen nimmt der Fuhrunternehmer Michael Zechmeister erstmals in München einen Linienbetrieb nach heutigem Muster auf. Seine von Pferden gezogenen „Groschenwagen“ fahren nach Fahrplan auf fester Route, zunächst zwischen Centralbahnhof, Marienplatz und Mariahilfkirche (Abbildung: 1861, Groschenwagen Nr. 1 am Mariahilfplatz). 1863 kapituliert Zechmeister mangels Nachfrage, um fünf Jahre später einen zweiten Anlauf mit seinen „Pferde-Omnibussen“ (lt. „omnibus“ = für alle) zu wagen. 1882 stellt er den Betrieb erneut ein – diesmal zugunsten der neuen Pferde-Straßenbahn. Er kassiert dafür 13.000 Mark von der damaligen Trambahn-Direktion.
1876 Pferde-Trambahn auf Schienen
Am 21. Oktober 1876 fährt erstmals eine Pferdetram auf Schienen. Die private „Münchner Tramway Ed. Otlet“ nimmt auf der Strecke Promenadeplatz – Hauptbahnhof – Maillingerstraße ihren Betrieb auf. Otlets Kapital reicht aber auf Dauer nicht aus. Deshalb gründet der aus Belgien stammende Ingenieur bereits 1878 mit einer französischen Finanzgruppe die „Sociéte Anonyme des Tramways de Munich“. Bis 1879 wächst das Pferdebahn-Netz auf 13,5 km Streckenlänge.
 
Drei Jahre später, im Sommer 1882, wird die Pferdetram bayerisch. Der Betrieb wird auf die neu gegründete Münchner Trambahn-Aktiengesellschaft (MTAG) übertragen, weil die belgisch-französische Firmengruppe um Otlet bei den Stadtvätern in Ungnade gefallen war. Die Stadt verpflichtet die MTAG zu einem umfangreichen Ausbauprogramm.
Eine Dampftrambahn vom Stiglmaierplatz zur Notburgastraße (1883 bis 1895) und die so genannte „Ungererbahn“ vom Feilitzschplatz zum Ungererbad (1886 bis 1895) – ein Vorläufer der elektrischen Straßenbahn – bleiben Randerscheinungen.
1895 Siegeszug der „Elektrischen“ und Eigenbetrieb
1894 beschließt der Magistrat die Umstellung aller Tramlinien auf elektrische Traktion. Zum 23. Juni 1895 wird die Strecke Färbergraben – Isartalbahnhof als erste probeweise auf Oberleitungsbetrieb umgestellt. In den nächsten fünf Jahren folgen die übrigen Linien. 1903 befördern 1.142 Mitar-beiter mit 281 elektrischen Triebwagen und 312 Beiwagen auf fast 58 km Schienenstrecke über 40 Millionen Fahrgäste.
 
 
Doch die Kosten für Elektrifizierung und Netzausbau überfordern die private MTAG. Mitte 1907 übernimmt daher die Stadt München die Trambahn als kommunalen Eigenbetrieb unter dem Namen „Städtische Straßenbahnen“. Neubaustrecken und neue Wagen verhelfen der Tram in der Folgezeit zu Blütejahren. Motorbetriebene Busse können sich noch nicht etablieren: Der um die Jahrhundertwende gegründete erste Münchner Omnibusbetrieb von Ludwig Petuel hat – wie auch einige andere Vorhaben vor und nach ihm – nur wenige Jahre Bestand.
1914/39 Auf und Ab in Kriegs- und Krisenjahren
Die beiden Weltkriege beeinträchtigen Betrieb und Infrastruktur der Münchner Trambahn nachhaltig. Mit Beginn des 1. Weltkriegs muss das aus 25 Linien bestehende Tramnetz wegen Einberufung jedes zweiten Mitarbeiters massiv eingeschränkt werden. Im September 1915 werden wegen Personalknappheit die ersten Frauen als Schaffnerinnen eingestellt, deren Zahl bis Kriegsende auf 770 anwächst. Die Tram transportiert nun auch Güter und Verwundete. Nach schweren Kriegsschäden und Betriebsunterbrechungen auch während der Revolutionszeit steht die Tram erst 1930 wieder in voller Blüte. Ihr Wagenpark umfasst damals nicht weniger als 518 Trieb- und 596 Beiwagen.
 
 
Langsam aber sicher tritt ab 1925 auch der Omnibus seinen Siegeszug an: 1939 gibt es bereits neun Linien mit 60 Fahrzeugen. Kriegsbedingt kommt das öffentliche Leben allerdings bald zum Erliegen. Das Gleisnetz wird im 2. Weltkrieg an 365 Stellen getroffen, das Fahrleitungsnetz an 717 Stellen beschädigt oder zerstört. Hilfs- und Notbahnen („Bockerlbahn“) ersetzen zeitweise die Tram. Ende April 1945 wird der Straßenbahnbetrieb auf allen Linien für vier Wochen eingestellt; der Busbetrieb ruht bis August 1945.
1945 Blütezeit und Niedergang der Tram
Wegen Personal-, Material- und Wagenmangel sowie strengen Auflagen der amerikanischen Militärregierung nach dem Krieg kommt der Wiederaufbau der Tram nur langsam voran; zeitweise werden Straßenbahnlinien mit Bussen befahren. Das Netz von Bus-Zubringerlinien in den Außenbezirken wächst. Von 1948 bis 1966 verkehren auch Oberleitungsbusse (Romanplatz – Boschetsrieder Straße), ab 1955 entlasten Eilbus-Linien die Straßenbahn. Die Tram erhält 1950 den ersten modernen Großraumzug vom Typ M. Ihr Wiederaufbau wird 1952 abgeschlossen. Ab 1956 entstehen auch Neubaustrecken.
 
 
Im Januar 1964 fällt der Stadtrat eine Grundsatzentscheidung zugunsten des U-Bahnbaus; bereits vorhandene Pläne für eine Unterpflaster-Straßenbahn werden nicht weiter verfolgt. Just in diesem Jahr erreicht das Trambahnnetz nach zwei Verlängerungen der Linie 8 nach Fürstenried West und ins Hasenbergl mit 135 km Streckenlänge seine größte Ausdehnung. In den kommenden knapp 30 Jahren folgt Stilllegung auf Stilllegung, Neueröffnungen bilden die Ausnahme. Als erste Tramlinie wird die Linie 5 (Viktualienmarkt – Candidplatz) auf Busbetrieb umgestellt. Ein Wagen der legendären Linie 8 fährt im Jahr 1975 zum letzten Mal „ratternd durch die Stadt“.
1965 Ein neues Nahverkehrszeitalter
Am 1. Februar 1965 beginnt der U-Bahnbau am heutigen U-Bahnhof Nordfriedhof nach den Maßgaben eines ersten „Gesamtverkehrsplans“. Der Olympia-Zuschlag beschleunigt 1966 den S- und U-Bahnbau. Am 19. Oktober 1971 eröffnet die 12 Kilometer lange U6 Kieferngarten – Goetheplatz als erste U-Bahn-Linie, am 8. Mai 1972 folgt die „Olympialinie“ U3.
 
 
Etwa zeitgleich beginnt der S-Bahn-betrieb (28. April 1972). Der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) wird am 5. April 1971 ins Leben gerufen. 1981 befördert die U-Bahn erstmals mehr Fahrgäste als die Tram, 1984 sind es bereits 200 Millionen Menschen. Die Stadt Garching sorgt dafür, dass die U-Bahn 1995 erstmals die Münchner Grenzen überschreitet. Seit 1999 wird auch die Messestadt Ost angefahren.

1991 Weichenstellungen für die Zukunft der Tram

Die Einstellung der Linie 13 (Scheidplatz – Hasenbergl) zugunsten der U2 markiert 1993 den Tiefpunkt in der Geschichte der Trambahn. Das Netz ist auf gerade einmal 65 Kilometer geschrumpft, die von acht Linien bedient werden. Das bedeutet eine Stilllegung von über 50 Prozent des Streckennetzes in knapp 30 Jahren.
Vom Abstellgleis ist die Straßenbahn zu diesem Zeitpunkt aber schon wieder weit entfernt. Viele Münchnerinnen und Münchner hatten sich mit verschiedenen Initiativen für die „Rettung“ der Tram engagiert. 1984 bekannte sich Georg Kronawitter im damaligen Kommunalwahlkampf zur Tram – und wurde Oberbürgermeister. Der Münchner Stadtrat beschloss 1986 einstimmig die Erhaltung und Modernisierung der Münchner Trambahn und 1991 wird sie fester Bestandteil der „integrierten ÖPNV-Planung“.
 
 
Im selben Jahr kommen die Prototypen der ersten niederflurigen Trambahnen der neuen Generation, Mitte der Neunziger folgen 70 Serienfahrzeuge (Typ R2). Seit 1996 wird das Netz auch wieder ausgebaut: Am 1. Juni geht die Linie 17 nach Neuhausen und Nymphenburg wieder in Betrieb, ein Jahr später eröffnet die reaktivierte Tram-Osttangente. Bis Ende 2003 wird das gesamte Straßenbahnnetz beschleunigt.
Öffentlicher Nahverkehr im Zeichen der MVG
2002 übernimmt die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) den Linienbetrieb der bisherigen SWM Verkehrsbetriebe. Sie finanziert – entsprechend rechtlicher Rahmenbedingungen und Stadtratsvorgaben – die Betriebskosten eigenwirtschaftlich aus den Fahrgeldeinnahmen und ist für eine kontinuierliche optimale Anpassung des Leistungsangebots an die Nachfrage verantwortlich.
Im selben Jahr feiern die modernen C-Züge bei der U-Bahn Premiere; erstmals kommen damit durchgängige Gliederzüge zum Einsatz. 2004 wird das Busnetz mit dem Topbus-Konzept reformiert, 2007 eröffnet das MVG Museum. 2009 kehrt mit der Inbetriebnahme der Neubaustrecke in die Parkstadt Schwabing die Tram nach 38 Jahren Abstinenz an die Münchner Freiheit zurück. Ende 2010 wird der U-Bahnbau mit der Eröffnung der U3-Streckenverlängerung nach Moosach zumindest vorläufig abgeschlossen.
Dennoch gibt es keinen Stillstand bei der Entwicklung des ÖPNV. Die MVG-Angebotsoffensive 2010-2020 bildet den Masterplan für den weiteren Ausbau von Bus und Bahn. Bei der U-Bahn soll 2014 erstmals ein 2-Minuten-Takt realisiert werden, um Kapazitätsengpässen entgegenzuwirken. Bei der Tram steht Ende 2011 eine Netzreform an, um die Linien und den Fahrzeugeinsatz nachfragegerecht zu optimieren. Weitere Neubauprojekte wie die Tram-Verlängerung zum Pasinger Bahnhof, die Tram-Westtangente und die Tram-Nordtangente mit ihrem fahrleitungslosen Teilstück im Englischen Garten sind in Vorbereitung oder Planung.
 

Die MVG heute: 

 
150 Jahre nach seiner Einführung boomt der ÖPNV in München.
Quelle: www.mvg-mobil.de, Bilder: MVG-Archiv
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